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Die Kokerei August Thyssen in Duisburg.
Die Geschichte des Werkes
Wer das Ruhrgebiet so sehen und erleben möchte, wie das Ruhrgebiet
einst tatsächlich war sollte nach Duisburg Bruckhausen fahren. Zwar
ist auch dort der Himmel inzwischen blau, aber hier findet man
noch die architektonische Struktur der Wohn- und Industriegebiet wie man sie vom Ruhrgebiet erwartet.
Dies nutzte und nutzt auch
die Filmindustrie hinlänglich. Ein Revierfilm, der die richtige
Kulisse braucht, wird in Duisburg-Bruckhausen gedreht, egal, ob die
Handlung nun in Dortmund oder Bochum spielt. Graue Häuserfassaden,
Hochöfen, Winderhitzer und Kühltürme als Kulisse und - natürlich -
die Kokerei August Thyssen.

Ansicht der Schachtanlage Gewerkschaft Deutscher Kaiser III/VII im Jahre 1909 (© Colorierung Michaela Berg, Ansichtskartensammlung Barz/Berg) |
Über 100 Jahre Geschichte.
Die Kokerei August Thyssen blickt auf eine 104-jährige Geschichte
zurück: Als die Kokereitechnik in den 1880er Jahren ihren ersten
Aufschwung erlebte, wurde auch mit dem Entwurf und dem Bau des Werkes in Bruckhausen begonnen.August Thyssen befaßte sich persönlich
mit der Planung für die Kokerei Bruckhausen, wie sie
damals genannt wurde. Die Kokerei wurde im Jahre 1897 in unmittelbarer Nähe der
Schachtanlage "Deutscher Kaiser" 3 (Förderaufnahme: 15. Januar 1895) und des
Hüttenbetriebs der Gewerkschaft Deutscher Kaiser (GDK) erbaut. Am 1. Januar 1919 wurde die Gewerkschaft Deutscher Kaiser in "August
Thyssen-Hütte" und die Gewerkschaft "Friedrich Thyssen"
geteilt.
Toransicht der Kokerei Gewerkschaft Deutscher Kaiser, etwa um 1920 (© Fotosammlung Barz/Berg)
Die Kokerei "Friedrich Thyssen 3/7", wie sie fortan hieß,
wurde am 5. Mai 1926 in den Verbund der neugegründeten Vereinigten
Stahlwerke AG (VSt) eingegliedert und im Jahre 1934 im Rahmen der
Dezentralisierung der Gelsenkirchener Bergbau-AG, Gruppe Hamborn,
unterstellt. Nach dem 2. Weltkrieg ging die Kokerei 3/7 im Zuge der
Entflechtung in das Eigentum der August Thyssen Hütte AG über und
lief fortan unter der Bezeichnung Kokerei August Thyssen.Die Kokerei stellt das Bindeglied der verbundwirtschaftlichen Zusammenarbeit
zwischen Bergbau und Stahlindustrie dar und wurde seit der
Jahrhundertwende stets auf den neuesten Stand der Technik ausgebaut.
Sie diente daher anderen Gesellschaften als Vorbild und war,
zumindest zeitweise, als die überhaupt größte Kokerei anzusprechen.
Die ersten beiden Koksofenbatterien bestehend aus 60 Brunck-Abhitze-
Koksöfen und 60 Otto-Abhitze-Koksöfen wurden im Jahre 1897 in
Betrieb genommen. Bei den Abhitzeöfen wurden die etwa 1000° C heißen Abgase nur zur
Dampferzeugung genutzt und nicht wie bei den später entwickelten Regenerativ- und insbesondere bei den
Verbund-Koksöfen zur Vorwärmung der Verbrennungsluft und des Schwachgases.
Daher konnten die Abhitzeöfen nur mit Koksofengas betrieben werden.
Ansicht der Zeche und Hochöfen, etwa um 1910 (© Fotosammlung Barz/Berg)
Die weiße Seite bestand aus anfangs aus einer
Teer- und Ammoniumsulfatgewinnung. Bis zum Jahre 1900
wurden drei weitere Otto-Abhitze-Ofenbatterien errichtet, so daß um
die Jahrhundertwende insgesamt 324 Abhitzeöfen betrieben wurden. Die
Produktion betrug 1200 t/d Koks. Die Kokskohle wurde von der Wäsche
Schacht 3 in Fülltrichterwagen per Seilbahn angeliefert und die
Koksöfen manuell beschickt. Der gare Kokskuchen wurde auf schräg
ausgebildete Rampen ausgestoßen und von Hand gelöscht. Ebenso von
Hand wurde der Koks in kleine Seilbahnwagen verladen, die dann zu
den Hochöfen fuhren. Der Dampfanfall der Abhitzeöfen deckte den
großen Eigenbedarf: denn alle, auch die kleinsten Pumpenantriebe der
weitverzweigten Anlage, liefen mit Dampf. Der Freileitung-
Elektrobetrieb galt zu dieser Zeit als unzuverlöässig. Die Pflege des
Dampfnetzes erforderte daher viel Arbeit.
Ausbau zur ersten Zentralkokerei Europas.
Der Ersatz der Abhitzeöfen durch Regenerativöfen erfolgte sofort,
als brauchbare Systeme dieser Bauart vorlagen. Die ersten beiden
Regenerativ-Ofenbatterien wurden von der Fa. C. Otto & Comp.
errichtet. Ab dem Jahre 1908 übernahm Heinrich Koppers die weitere
Modernisierung. Die anfallenden Überschußmengen an Gas wurden
zunächst zur Dampferzeugung verwendet. Bei fortschreitender
Elektrifizierung konnte die Kokerei über den Eigenbedarf hinaus
erhebliche Mengen Koksgas an Nachbarbetriebe, die Schachtanlage 3/7
und das Dampfgebläsehaus der Hochöfen abgeben.
Noch einmal: Toransicht der Kokerei Gewerkschaft Deutscher Kaiser (© Fotosammlung Barz/Berg)
Bis zum Jahre 1912
wurden 4 Koppers-Regenerativ-Ofenbatterien zu den Otto-Batterien
errichtet, so daß in 432 Koksöfen ca. 643.00 t Koks im Jahr erzeugt wurden.
Dem allmählichen Ausbau der Kokerei
entsprechend waren vier getrennte Gasverarbeitungsanlagen vorhanden,
die räumlich weit auseinander lagen, nämlich für die erste, die
zweite, die dritte bis fünfte und die sechste Ofengruppe. Man
betrieb zwei Ammoniakfabriken. Die Gasströme vereinigten sich in der
Benzolfabrik, die im Jahre 1899 von
der Fa. Ibing errichtet und, der steigenden Leistung entsprechend, erweitert
wurde und daher mit Wasch-
und Destillierapparaten bis in die letzte Ecke zugestellt war. Im
Jahre 1912 wurden die beiden älteren Ammoniumsulfat-
Erzeugungsstellen durch eine zentrale Ammoniakfabrik ersetzt. Im
Jahre 1915 wurde eine eigene Teerdestillation für den Eigenbedarf im
Hüttenbereich errichtet, die bis Ende der 50er Jahre betrieben
wurde.
Anfang der 20er Jahre wurde die Kokerei Friedrich Thyssen 3/7 nach
amerikanischen Vorbild in mehreren Bauabschnitten modernisiert. Im
Jahre 1924 wurde die Kohlenmischanlage mit 24 Bunkern dem Betrieb
übergeben, so daß unterschiedliche Kokskohlensorten verschiedener
Schachtanlagen für eine optimale und gleichbleibende Hochofenkoks-Qualität
gemischt werden konnten. Die sechs alten Regenerativ-
Ofenbatterien wurden in den Jahren 1922 - 1926 durch 4 Koppers-
Verbund-Ofenbatterien à 65 Koksöfen ersetzt, welche parallel zur
Flucht der Hochöfen errichtet wurden. Dieser neue Ofentyp wurde mit
Gichtgas unterfeuert, so daß das gesamte wertvollere Koksofengas zur
Ferngasversorgung verwendet werden konnte. Auf der weißen Seite kam
das von Dr.-Ing. E. h. Franz Lenze entwickelte Gaskühl- und
Reinigungsverfahren in Anwendung ebenso wurde die
Benzolabtreiberanlage erneuert.
Ansicht der Kokerei Gewerkschaft Deutscher Kaiser, etwa im Jahre 1910 (© ThyssenKrupp Konzernarchiv)
Mit diesem umfassenden Ausbau war die Kokerei Friedrich Thyssen 3/7
die erste Zentralkokerei Europas. All diese
Rationalisierungsinvestitionen waren ein wichtiger Schritt im Zuge
des Ausbaues der Ferngasversorgung von Thyssen und der Optimierung
des Energiehaushaltes der ATH. Die Hochofenanlage stützte sich in
ihrer Koksversorgung und in der Gasverbundwirtschaft auf die Kokerei
3/7, während das Überschußgas an das Ferngasnetz für die Haushalte
("Stadtgas") abgegeben wurde.
Persistenz.
Der zweite Weltkrieg ließ ein wüstes Bild der Zerstörung zurück. Die
Kokerei mußte im März 1945 stillgelegt werden. Der anfänglich
verzögerte Wiederaufbau ging nach Eintreten des Demontagestops für
die ATH schnell voran: Die stark beschädigte Batterie 5 konnte schon
im Jahre 1947 teilweise wieder in Betrieb genommen werden, die
Batterie 4 im Jahre 1948 und Batterie 2 im Jahre 1949.
In den 50er Jahren wurden innerhalb kurzer Zeit drei neu Koppers-
Kreisstrom-Ofenbatterien in Betrieb genommen: Batterie 3 zum 1.
Februar 1955, Batterie 1 im Mai 1956 und Batterie 4 im Oktober 1959. Die
maximale Leistung betrug täglich 4600 Tonnen Koks, welche in fünf Batterien
mit einer Belegschaft von insgesamt 650 Mann erzeugt wurden.

Auf der Maschinenseite der Batterie 6a (© Michaela Berg, 1998) |
Anfang der 70er Jahre errichtete die
Fa. C. Still errichte zwei Verbund-Ofenbatterien mit
Stufenbeheizung: Batterie 6 a (erster Koks: 21. April 1971) und
Batterie 6 b (erster Koks: 27. September 1974) Im Zuge dieser
Modernisierung wurden die beiden ältesten Ofenbatterie 2 und 5
stillgelegt. Die Neuanlagen sind mit Absauganlagen für Füllgas und
Koksüberleitmaschinen für die koksseitige Entstaubung ausgerüstet.
Die Komponenten der bestehenden Anlage wurden ebenfalls
modernisiert, so daß ein großer Teil der Investitionsaufwendungen
für Umweltschutzmaßnahmen verwandt wurde. Die weiße Seite wurde
ebenfalls komplett umgebaut. Die inzwischen wenig rentable
Ammoniumsulfatgewinnung wurde durch eine kombinierte H2S/NH3-
Verbrennungsanlage und Schwefelsäureerzeugung ersetzt.
Im Jahre 1983 wurde die neue Batterie 2, ebenfalls eine Verbund-Ofenbatterie mit
Stufenbeheizung und die Kokstrockenkühlanlage in Betrieb genommen.
Die Verflechtung Kokerei/Hüttenwerk und der Standortvorteil Massenbtransportweg
Rhein führten bei der Kokerei August Thyssen zur Persistenz. Das Werk muß sich nicht nur auf die Veränderungen des Marktes sondern dem Wandel der Standortfaktoren allgemein einstellen, um das Beharren am Standort zu sichern. Dabei dienen vor allem technologische Neuerungen dem Ausgleich von Standortnachteilen. Anfang des 20.
Jahrhundert wurden Werkswohnungen für die zugewanderten Arbeiter in
unmittlebarer Nähe zu den Arbeitsplätzen errichtet, so daß das Hüttenwerk und
seine Nebenbetriebe Ausgangspunkt der umgebenden Siedlung war. Doch mit
steigender Mobilität und der Entwicklung des Individualverkehrs verlor die Nähe
zum Arbeitsplatz ihr einstige Bedeutung, gleichzeitig steigen seit den 70er
Jahren stetig die Umweltansprüche der Bevölkerung, so daß diese
Standortsituation mehr und mehr Probleme mit sich bringt.
Die Kokerei August Thyssen wurde nach Außerbetriebnahme der Batterien 1, 3 und 4 als "Rumpfkokerei" betrieben. Am 26.
Juni 2000 erfolgte dann die Grundsteinlegung für die Kokerei Schwelgern. Nach ihrer Inbetriebnahme wurde
zunächst Battterie 2 und dann die Batterien 6a und b stillgelegt. Der letze Ofen
wurde am 16. April '03 gedrückt.
Quellennachweis:
- "Unsere ATH", Werkzeitschrift für die Betriebsangehörigen der August Thyssen-Hütte AG (fortlaufend)
- "Kenndaten der Kokerei August Thyssen", Stand 1985
- Koppers Mitteilungen, gesammelte Jubiläums-Sonderhefte, Essen 1926 - 1928
- Jahrbuch für den Oberbergamtsbezirk Dortmund (fortlaufend)
- verschiedene Akten der Gruppe 611 des Duisburger Stadtarchivs zur Erweiterung der Kokerei August Thyssen
- verschiedene Unterlagen aus der Privatsammlung Barz/Berg zur Kokerei August Thyssen
© Michaela Berg
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