Die Kokerei August Thyssen in Duisburg.

Die Geschichte des Werkes

Wer das Ruhrgebiet so sehen und erleben wollte, wie das Ruhrgebiet einst tatsächlich war, fuhr nach Duisburg Bruckhausen. Zwar war der Himmel dort auch schon länger blau, aber hier war bis Anfang der Jahrtausendwende ein Refugium für die architektonische Struktur und Verflechtung von Wohn- und Industriegebiet wie man sie vom Ruhrgebiet erwartete. Dies nutzte auch die Filmindustrie hinlänglich. Nicht nur Schimanski, nein, ein Revierfilm, der die richtige Kulisse brauchte, wurde in Duisburg-Bruckhausen gedreht, egal, ob die Handlung nun in Dortmund, Bochum oder sonstwo spielte. Graue Häuserfassaden, Hochöfen, Winderhitzer und Kühltürme als Kulisse und - natürlich - die Kokerei August Thyssen.
Zeche Friedrich Thyssen 3/7

Über 100 Jahre Geschichte.

Die Kokerei August Thyssen blickt auf eine 104-jährige Geschichte zurück: Als die Kokereitechnik in den 1880er Jahren ihren ersten Aufschwung erlebte, wurde auch mit dem Entwurf und dem Bau des Werkes in Bruckhausen begonnen.August Thyssen befaßte sich persönlich mit der Planung für die Kokerei Bruckhausen, wie sie damals genannt wurde. Die Kokerei wurde im Jahre 1897 in unmittelbarer Nähe der Schachtanlage "Deutscher Kaiser" 3 (Förderaufnahme: 15. Januar 1895) und des Hüttenbetriebs der Gewerkschaft Deutscher Kaiser (GDK) erbaut. Am 1. Januar 1919 wurde die Gewerkschaft Deutscher Kaiser in "August Thyssen-Hütte" und die Gewerkschaft "Friedrich Thyssen" geteilt.

Die Kokerei "Friedrich Thyssen 3/7", wie sie fortan hieß, wurde am 5. Mai 1926 in den Verbund der neugegründeten Vereinigten Stahlwerke AG (VSt) eingegliedert und im Jahre 1934 im Rahmen der Dezentralisierung der Gelsenkirchener Bergbau-AG, Gruppe Hamborn, unterstellt. Nach dem 2. Weltkrieg ging die Kokerei 3/7 im Zuge der Entflechtung in das Eigentum der August Thyssen Hütte AG über und lief fortan unter der Bezeichnung Kokerei August Thyssen.

Die Kokerei stellt das Bindeglied der verbundwirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Bergbau und Stahlindustrie dar und wurde seit der Jahrhundertwende stets auf den neuesten Stand der Technik ausgebaut. Sie diente daher anderen Gesellschaften als Vorbild und war, zumindest zeitweise, als die überhaupt größte Kokerei anzusprechen. Die ersten beiden Koksofenbatterien bestehend aus 60 Brunck-Abhitze- Koksöfen und 60 Otto-Abhitze-Koksöfen wurden im Jahre 1897 in Betrieb genommen. Bei den Abhitzeöfen wurden die etwa 1000° C heißen Abgase nur zur Dampferzeugung genutzt und nicht wie bei den später entwickelten Regenerativ- und insbesondere bei den Verbund-Koksöfen zur Vorwärmung der Verbrennungsluft und des Schwachgases. Daher konnten die Abhitzeöfen nur mit Koksofengas betrieben werden.

Die weiße Seite bestand aus anfangs aus einer Teer- und Ammoniumsulfatgewinnung. Bis zum Jahre 1900 wurden drei weitere Otto-Abhitze-Ofenbatterien errichtet, so daß um die Jahrhundertwende insgesamt 324 Abhitzeöfen betrieben wurden. Die Produktion betrug 1200 t/d Koks. Die Kokskohle wurde von der Wäsche Schacht 3 in Fülltrichterwagen per Seilbahn angeliefert und die Koksöfen manuell beschickt. Der gare Kokskuchen wurde auf schräg ausgebildete Rampen ausgestoßen und von Hand gelöscht. Ebenso von Hand wurde der Koks in kleine Seilbahnwagen verladen, die dann zu den Hochöfen fuhren. Der Dampfanfall der Abhitzeöfen deckte den großen Eigenbedarf: denn alle, auch die kleinsten Pumpenantriebe der weitverzweigten Anlage, liefen mit Dampf. Der Freileitung- Elektrobetrieb galt zu dieser Zeit als unzuverlöässig. Die Pflege des Dampfnetzes erforderte daher viel Arbeit.


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Ausbau zur ersten Zentralkokerei Europas.

Der Ersatz der Abhitzeöfen durch Regenerativöfen erfolgte sofort, als brauchbare Systeme dieser Bauart vorlagen. Die ersten beiden Regenerativ-Ofenbatterien wurden von der Fa. C. Otto & Comp. errichtet. Ab dem Jahre 1908 übernahm Heinrich Koppers die weitere Modernisierung. Die anfallenden Überschußmengen an Gas wurden zunächst zur Dampferzeugung verwendet. Bei fortschreitender Elektrifizierung konnte die Kokerei über den Eigenbedarf hinaus erhebliche Mengen Koksgas an Nachbarbetriebe, die Schachtanlage 3/7 und das Dampfgebläsehaus der Hochöfen abgeben.

Bis zum Jahre 1912 wurden 4 Koppers-Regenerativ-Ofenbatterien zu den Otto-Batterien errichtet, so daß in 432 Koksöfen ca. 643.00 t Koks im Jahr erzeugt wurden.

Dem allmählichen Ausbau der Kokerei entsprechend waren vier getrennte Gasverarbeitungsanlagen vorhanden, die räumlich weit auseinander lagen, nämlich für die erste, die zweite, die dritte bis fünfte und die sechste Ofengruppe. Man betrieb zwei Ammoniakfabriken. Die Gasströme vereinigten sich in der Benzolfabrik, die im Jahre 1899 von der Fa. Ibing errichtet und, der steigenden Leistung entsprechend, erweitert wurde und daher mit Wasch- und Destillierapparaten bis in die letzte Ecke zugestellt war. Im Jahre 1912 wurden die beiden älteren Ammoniumsulfat- Erzeugungsstellen durch eine zentrale Ammoniakfabrik ersetzt. Im Jahre 1915 wurde eine eigene Teerdestillation für den Eigenbedarf im Hüttenbereich errichtet, die bis Ende der 50er Jahre betrieben wurde.
Tor Kokerei August Thyssen

Anfang der 20er Jahre wurde die Kokerei Friedrich Thyssen 3/7 nach amerikanischen Vorbild in mehreren Bauabschnitten modernisiert. Im Jahre 1924 wurde die Kohlenmischanlage mit 24 Bunkern dem Betrieb übergeben, so daß unterschiedliche Kokskohlensorten verschiedener Schachtanlagen für eine optimale und gleichbleibende Hochofenkoks-Qualität gemischt werden konnten. Die sechs alten Regenerativ- Ofenbatterien wurden in den Jahren 1922 - 1926 durch 4 Koppers- Verbund-Ofenbatterien à 65 Koksöfen ersetzt, welche parallel zur Flucht der Hochöfen errichtet wurden. Dieser neue Ofentyp wurde mit Gichtgas unterfeuert, so daß das gesamte wertvollere Koksofengas zur Ferngasversorgung verwendet werden konnte. Auf der weißen Seite kam das von Dr.-Ing. E. h. Franz Lenze entwickelte Gaskühl- und Reinigungsverfahren in Anwendung ebenso wurde die Benzolabtreiberanlage erneuert.

Mit diesem umfassenden Ausbau war die Kokerei Friedrich Thyssen 3/7 die erste Zentralkokerei Europas. All diese Rationalisierungsinvestitionen waren ein wichtiger Schritt im Zuge des Ausbaues der Ferngasversorgung von Thyssen und der Optimierung des Energiehaushaltes der ATH. Die Hochofenanlage stützte sich in ihrer Koksversorgung und in der Gasverbundwirtschaft auf die Kokerei 3/7, während das Überschußgas an das Ferngasnetz für die Haushalte ("Stadtgas") abgegeben wurde.

Persistenz.

Der zweite Weltkrieg ließ ein wüstes Bild der Zerstörung zurück. Die Kokerei mußte im März 1945 stillgelegt werden. Der anfänglich verzögerte Wiederaufbau ging nach Eintreten des Demontagestops für die ATH schnell voran: Die stark beschädigte Batterie 5 konnte schon im Jahre 1947 teilweise wieder in Betrieb genommen werden, die Batterie 4 im Jahre 1948 und Batterie 2 im Jahre 1949.

In den 50er Jahren wurden innerhalb kurzer Zeit drei neu Koppers- Kreisstrom-Ofenbatterien in Betrieb genommen: Batterie 3 zum 1. Februar 1955, Batterie 1 im Mai 1956 und Batterie 4 im Oktober 1959. Die maximale Leistung betrug täglich 4600 Tonnen Koks, welche in fünf Batterien mit einer Belegschaft von insgesamt 650 Mann erzeugt wurden.
Tor Kokerei August Thyssen

Anfang der 70er Jahre errichtete die Fa. C. Still errichte zwei Verbund-Ofenbatterien mit Stufenbeheizung: Batterie 6 a (erster Koks: 21. April 1971) und Batterie 6 b (erster Koks: 27. September 1974) Im Zuge dieser Modernisierung wurden die beiden ältesten Ofenbatterie 2 und 5 stillgelegt. Die Neuanlagen sind mit Absauganlagen für Füllgas und Koksüberleitmaschinen für die koksseitige Entstaubung ausgerüstet. Die Komponenten der bestehenden Anlage wurden ebenfalls modernisiert, so daß ein großer Teil der Investitionsaufwendungen für Umweltschutzmaßnahmen verwandt wurde. Die weiße Seite wurde ebenfalls komplett umgebaut. Die inzwischen wenig rentable Ammoniumsulfatgewinnung wurde durch eine kombinierte H2S/NH3- Verbrennungsanlage und Schwefelsäureerzeugung ersetzt. Im Jahre 1983 wurde die neue Batterie 2, ebenfalls eine Verbund-Ofenbatterie mit Stufenbeheizung und die Kokstrockenkühlanlage in Betrieb genommen.

Die Verflechtung Kokerei/Hüttenwerk und der Standortvorteil Massenbtransportweg Rhein führten bei der Kokerei August Thyssen zur Persistenz. Das Werk muß sich nicht nur auf die Veränderungen des Marktes sondern dem Wandel der Standortfaktoren allgemein einstellen, um das Beharren am Standort zu sichern. Dabei dienen vor allem technologische Neuerungen dem Ausgleich von Standortnachteilen. Anfang des 20. Jahrhundert wurden Werkswohnungen für die zugewanderten Arbeiter in unmittlebarer Nähe zu den Arbeitsplätzen errichtet, so daß das Hüttenwerk und seine Nebenbetriebe Ausgangspunkt der umgebenden Siedlung war. Doch mit steigender Mobilität und der Entwicklung des Individualverkehrs verlor die Nähe zum Arbeitsplatz ihr einstige Bedeutung, gleichzeitig steigen seit den 70er Jahren stetig die Umweltansprüche der Bevölkerung, so daß diese Standortsituation mehr und mehr Probleme mit sich bringt.

Die Kokerei August Thyssen wurde nach Außerbetriebnahme der Batterien 1, 3 und 4 als "Rumpfkokerei" weiterbetrieben. Am 26. Juni 2000 erfolgte dann die Grundsteinlegung für die Kokerei Schwelgern. Nach ihrer Inbetriebnahme wurde zunächst Battterie 2 und dann die Batterien 6a und b stillgelegt. Der letze Ofen wurde am 16. April '03 gedrückt.

Quellennachweis:
  1. "Kenndaten der Kokerei August Thyssen", Stand 1985
  2. verschiedene Unterlagen aus der Privatsammlung Barz/Berg zur Kokerei August Thyssen
  3. "Unsere ATH", Werkzeitschrift für die Betriebsangehörigen der August Thyssen-Hütte AG (fortlaufend)
  4. Dr. F. M. Ress: Geschichte der Kokereitechnik; Essen 1957
  5. "Unsere ATH", Werkzeitschrift für die Betriebsangehörigen der August Thyssen-Hütte AG (fortlaufend)
  6. Dr. Otto Grosskinsky: Handbuch des Kokereiwesens, Bd. 2; Düsseldorf 1958
  7. verschiedene Akten der Gruppe 611 des Duisburger Stadtarchivs zur Erweiterung der Kokerei August Thyssen


© Michaela Barz-Berg

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